Irak – Vier Fragen, vier Antworten

Von Hans C. von Sponeck
UN-Koordinator für Humanitäre Hilfe im Irak (1998-2000)
Europäisches Kolloquium Brüssel, 25. September 2002

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Das englische Original: www.irak.be/ned/bivv/iraq4questions4answers.htm

Frage 1: Besteht eine unmittelbare Bedrohung durch den Irak?

Die Vereinigten Staaten behaupten, dass der Irak eine Bedrohung ihrer Sicherheit darstellt. Diese Bedrohung, so wird argumentiert, ist so ernst, dass ein Präventivschlag notwendig ist, um die USA und des Weiteren die globale Gemeinschaft zu schützen. Großbritannien teilt diese Ansicht.

Die übrige Welt, insbesondere Iraks Nachbarn, sind mit dieser Einschätzung nicht einverstanden. Jedenfalls sind nicht die Voraussetzungen für eine Anwendung der Artikel 39, 42 und 51 der UN-Charta gegeben. Keiner der „Beweise“, die von den USA und Großbritannien vorgebracht wurden, wird von der internationalen Gemeinschaft als ein stichhaltiger und zweifelsfreier Beweis dafür akzeptiert, dass der Irak im Besitz von ABC-Waffenmaterial ist oder dieses herzustellen versucht.

Versuche, eine Verbindung zwischen Aktionen des Terrorismus, die sich um das World Trade Center 1993 und 2001, die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam, das US-Kriegsschiff Cole in Aden, die Anthrax-Fälle in den USA und eine Zusammenarbeit mit Al Quaida abspielten, und der Regierung des Irak herzustellen, sind gescheitert.

Eine Studie des britischen International Institute for Strategic Studies (IISS) vom 9. September 2002 ist ein gutes Beispiel für eine Zusammenstellung von Spekulationen (siehe Seite 74), aus denen gefolgert wird, dass der Irak „wahrscheinlich atomare Waffen zusammenbauen könnte“, „wahrscheinlich die Anlage biologischer Kulturen wieder aufgenommen hat“, „wahrscheinlich chemische Agenzien wie Senfgas und entsprechende Vorläufersubstanzen zurückbehalten hat“, „wahrscheinlich eine kleine Streitmacht von ballistischen Raketen mit Reichweiten von bis zu 650 km wie die Al-Hussein-Raketen zurückbehalten hat“.

In der Einleitung der Studie wird versichert, dass mit ihr die Absicht verfolgt werde, diese Sachverhalte (bezüglich Massenvernichtungswaffen) „genau und fair“ zu beschreiben. In ihren Schlussfolgerungen (siehe Seite 73) wird jedoch eine Aussage getroffen, die auf Kriegsbrandstiftung hinausläuft. Das Dokument behauptet u. a.: „Ein Krieg, falls dieser in Bagdad eine Regierung installieren würde, die zur Einhaltung der internationalen Verpflichtungen des Irak bereit ist, würde die irakische Bedrohungen durch Massenvernichtungswaffen ausräumen, allerdings auf die Gefahr eines begrenzten Einsatzes von chemischen und biologischen Waffen (und von zivilen Todesopfern) während des Konflikts zum Sturz des derzeitigen Regimes.“

Während eines Besuchs des Irak im Juli 2002, gab mir die Regierung des Irak die Gelegenheit, zwei Anlagen meiner Wahl zu besuchen, Al Dora in der Umgebung von Bagdad und Al Fallujah III, die von westlichen Geheimdiensten und Mainstream-Medien in den USA und Großbritannien als Anlagen bezeichnet worden waren, die nach vorliegenden Beweisen seit der Abreise der UN-Waffeninspektoren im Dezember 1998 biologische Agenzien produziert hätten.

Der Bericht des IISS weist darauf hin, dass in Al Dora; „die Arbeit anscheinend wieder aufgenommen worden ist. Die Anlage hat 25 % ihrer Kapazität“ (siehe Seite 30). Zu Al Fallujah III weist er darauf hin, dass „die Fabrik zur Weiterverarbeitung von Castor-Bohnen zerstört worden ist. Ihr derzeitiger Status ist unbekannt.“ (siehe Seite 30).

In einem Dokument der US-Regierung mit dem Titel „Ein Jahrzehnt der Täuschung und Feindschaft“, das am 12. September zeitgleich mit der Rede von Präsident Bush vor der UN-Generalversammlung verteilt wurde, wird darauf hingewiesen, dass Al Dora „ein ausgedehntes Luftbehandlungs- und Filtersystem hat“ (siehe Seite 8), und zu Fallujah wird festgestellt (siehe Seite 9), dass „(die Regierung des Irak) Anstrengungen unternimmt, Aktivitäten in der Fallujah-Anlage zu verbergen.“

Die britische Regierung übergab ihr lang angekündigtes „Dossier“ am 24. September 2002 der Öffentlichkeit. Dabei handelt es sich mehr um eine Rückschau auf frühere Massenvernichtungsprogramme als um eine empirische Analyse der gegenwärtigen Situation im Irak. Es ist ein Dokument der Behauptungen aber nicht der Beweise, was die Bedrohlichkeit der gegenwärtigen Realität hinsichtlich Massenvernichtungswaffen im Irak betrifft. Über Al Fallujah behauptet das Dossier, dass „die Anlage zur Produktion von Castor-Öl wieder aufgebaut worden ist.“ Al Dora wird als „eine Besorgnis erregende Anlage“ genannt.

Mein Besuch der beiden Lokalitäten (bei dem mich das deutsche ARD-Fernsehen begleitete) hat eindeutig gezeigt, dass die Anlagen von Dora und Al Fallujah III zerstört worden sind (was im Übrigen auch der IISS-Bericht für Al Fallujah einräumt). Was zerstört wurde, kann keine Bedrohung sein.

Schlussfolgerungen:

Die Beweise, die von den Regierungen der USA und Großbritanniens vorgelegt wurden, sowie die Einschätzung des Status des Irak bezüglich Massenvernichtungswaffen durch das IISS stützen in keiner Weise die Behauptung, dass vom Irak eine unmittelbare Bedrohung ausgeht, welche einen militärischen Angriff rechtfertigen würde. Die von der US-Regierung geförderte Massenhysterie und Psychokriegführung sind international nicht hinnehmbar. Im Interesse der Kriegsverhinderung sollten in der gegenwärtigen Lage die Erklärung des irakischen Außenministers, dass das Land frei von Massenvernichtungswaffen ist, sowie das Einverständnis der irakischen Behörden mit der bedingungslosen Wiederzulassung der UN-Waffeninspekteure beim Wort genommen werden, der Einsatz von UNMOVIC in Bagdad sollte ohne Verzögerung in Angriff genommen werden.

Frage 2: Wie erklärt sich die gegenwärtige Irak-Politik der US-Regierung?

Hierfür gibt es keine einfache Erklärung. Doch die Bedeutung der im Irak lagernden Energie-Ressourcen, die Zusammensetzung der Regierung Bush II sowie die Veränderungen der politischen Landschaft im Mittleren Osten sind drei wichtige Faktoren, die zu einer solchen Erklärung heran zu ziehen sind:

– Die Energie-Ressourcen des Irak:

Während der Irak-Anhörung im Auswärtigen Ausschuss des US-Senats am 31. Juli und 1. August, erklärte der prominente Vertreter der Republikanischen Partei, Senator Richard Lugar (R-In): „... wir werden das Ölgeschäft in die Hand nehmen. Wir werden es richtig in die Hand nehmen, wir werden Geld machen; und das wird helfen, für die Wiederherstellung des Irak zu bezahlen, weil da Geld ist!“

– Die Regierung Bush II:

Schlüsselfiguren im Apparat der gegenwärtigen US-Regierung waren am Golfkrieg von Bush I 1991 beteiligt. Das könnte erklären, warum die US-Regierung den Iraq Liberation Act des US-Kongresses vom Oktober 1998 viel wörtlicher nimmt, als dies die Clinton-Administration getan hat. Dieses Gesetz fordert „Regimewechsel“ im Irak. Aus der Politik der „Eindämmung von innen“ unter Präsident Clinton wurde eine Politik der „Besetzung von außen“ unter Präsident Bush. Dieser Wandel der Politik in Kombination mit einem missionarischen Eifer bei der Verbreitung ihrer Version von „Demokratie“ sowie mit einer verhängnisvollen Vermischung des gerechtfertigten Kampfes gegen den Terrorismus mit einer Strategie des Regimewechsels gegen Regierungen, die als zu aggressiv antiamerikanisch angesehen werden, sind die wesentlichen Bestandteile der Haltung der US-Administration zum Irak.

– Die politische Landschaft im Mittleren Osten:

Die gefährliche Verschärfung des palästinensisch-israelischen Konflikts im Laufe der letzten zwölf Monate hat den Zusammenhalt der arabischen Regierungen gestärkt. Ein Indiz für die bedeutsamen politischen Veränderungen innerhalb der Arabischen Liga ergibt sich aus dem Abschlusskommunique der Gipfelkonferenz von Beirut im März 2002. Es schloss mit der Zurückweisung eines Krieges gegen das „Bruderland Irak“. Seitdem haben alle arabischen Regierungen, einschließlich Kuwait und Saudiarabien, ihre Ablehnung einer militärischen Konfrontation mit dem Irak wiederholt zum Ausdruck gebracht. Es gibt einen starken Unmut, insbesondere in Saudiarabien, gegenüber der als Ausdruck von Doppelmoral wahrgenommenen Behandlung der beiden Konflikte im Mittleren Osten, der palästinensischen Situation und des Irak. Auch ist nicht länger zu verbergen, dass die USA deutliche Hinweise dafür erhalten haben, dass ihre Militärpräsenz im Mittleren Osten nicht länger mit selbstverständlicher Zustimmung rechnen kann. Dies wiederum hat ein Element äußerster Dringlichkeit in die Durchsetzung von Änderungen in der Irak-Politik der USA gebracht.

Schlussfolgerungen:

Die Irak-Politik der US-Administration hat wenig zu tun mit der Rückkehr der UN-Waffeninspekteure oder mit Besorgnis wegen des Leidens des irakischen Volkes. Sie hat entschieden zu tun mit der Entschlossenheit, einen Regimewechsel in Bagdad durchzusetzen. Mit dieser Zielstellung finden die USA keine internationale Unterstützung. Was Präsident Chirac mit der Feststellung bestätigte: „Das ist keine Frage von Bush/Blair auf der einen Seite und Chirac/Schröder auf der anderen, es geht um Bush/Blair auf der einen Seite und allen anderen auf der anderen Seite.“

Frage 3: Worum geht es für die irakische Bevölkerung?

Zunächst muss darauf hingewiesen werden, dass die Leiden und das Trauma, die als Folgen aus der verschärften Konfrontation zwischen dem Irak und den USA und Großbritannien sowie aus der Aussicht auf Krieg resultieren, von den Politikern und Medien in Europa verdrängt worden sind. Für alles, was dieses Geschehen und zwölf Jahre wirtschaftliche Sanktionen der irakischen Bevölkerung an Opfern abverlangt haben, gibt es massive Beweise, die von angesehenen internationalen Organisationen sowie internationalen Nichtstaatlichen Organisationen dokumentiert worden sind. Die Auswirkungen davon werden noch lange, nachdem die wirtschaftlichen Sanktionen aufgehoben und der Irak-Konflikt beendet sein werden, spürbar bleiben.

Die humanitäre Ausnahmeregelung, das Öl-für-Lebensmittel-Programm, ist ständig unterfinanziert gewesen, insbesondere in den ersten drei Phasen, als der UN-Sicherheitsrat entschieden hatte, dass die Einkünfte aus Ölexporten 2,6 Milliarden US-Dollar pro Phase nicht übersteigen dürften. Trotz dieses geringen Betrages bestand der UN-Sicherheitsrat darauf, dass das UN-Kompensationskomitee 30 % der Öl-Einnahmen zu bekommen hatte, Mittel, die dringend benötigt wurden für eine unterernährte Bevölkerung, die selbst einfache Medikamente zum Schutz ihrer Gesundheit entbehren musste.

Der Gesamtwert dessen, was im Irak zwischen dem 16. Dezember 1996, dem Beginn des Öl-für-Lebensmittel-Programms, und dem 10. Mai 2002 angekommen ist, beläuft sich auf 172 US-Dollar pro Kopf und Jahr. Bezeichnend für den Zustand der Verarmung der irakischen Bevölkerung ist, dass 55 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben. Gäbe es nicht den monatlichen Nahrungsmittelkorb im Wert von 25 US-Dollar, der im Rahmen des Öl-für-Lebensmittel-Programm kostenlos an die Bevölkerung ausgeben wird, würden etwa 90 % der Bevölkerung gezwungen sein, unter der Armutsgrenze zu leben.

Ein weiterer Indikator für den schlechten Zustand der Bevölkerung betrifft die Kindersterblichkeit. In dem vom UN-Kinderhilfswerk (UNICEF) herausgegebenen Jahresbericht über die Lage der Kinder wird der Irak als das Land ausgewiesen, das bei der Sterberate von Kindern unter fünf Jahren von 1990 bis 1999 eine Zunahme von 160 Prozent zu verzeichnen hat. Dies ist die höchste erfasste Anstiegsrate von allen 188 untersuchten Ländern. Nach Angaben derselben Organisation sank die Alphabetisierung von Frauen und Mädchen auf 45 % im Jahre 1995, wo hingegen im Jahre 1987 der Irak durch die UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) internationale Anerkennung dafür erhalten hatte, dass das Land ein Alphabetisierungsniveau von 80 % erreicht hatte. Weitere alarmierende Zahlen, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlicht wurden, zeigen, dass sich die Zahl der Jugendlichen mit psychischen Störungen zwischen 1990 und 1998 mehr als verdoppelt hat.

Während die US-Regierung den Irak beschuldigt, 16 UN-Resolutionen verletzt zu haben, bleibt völlig unerwähnt, dass die Hauptverantwortung für die im Bezug auf den Irak begangenen Verletzung nahezu aller internationalen Verträge und Konventionen, angefangen von der UN-Charta, über den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, die Genfer und Haager Konventionen bis zur Konvention über Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, den Regierungen der USA und Großbritanniens anzulasten ist. (Siehe in diesem Zusammenhang Dokument UN/ECOSOC vom 21. Juni 2000 (GE.00-14092), in dem Prof. Marc Bossuyt, derzeit Richter am Höchsten Gericht Belgiens und früher Vorsitzender der UN-Menschenrechtskommission, dazu Beweise erbringt; siehe ferner ausgewählte Beiträge über „The Impact on International Law of a Decade of Measures Against Iraq“ – „Die Auswirkungen eines Jahrzehnts der Maßnahmen gegen den Irak auf das Internationale Recht“, verlegt bei Oxford University Press, Februar 2002).

Ferner ist festzustellen, dass die Einrichtung von zwei Flugverbotszonen auf keinerlei UN-Mandat beruht und einen schweren Bruch internationalen Rechts wie solcher UN-Resolutionen darstellt, die sich ausdrücklich auf die territoriale Integrität und Souveränität des Irak beziehen.

In meiner Funktion als der für die Sicherheit des UN-Personals im Irak zuständige UN-Beamte veranlasste ich die Erstellung von Berichten über Luftschläge auf Grund eingeholter und überprüfter Informationen über Schäden an Leben und Eigentum von Zivilpersonen, die aus den Einfällen und Angriffen der Luftwaffen der USA und Großbritanniens im Irak resultierten. Im Jahre 1999 verzeichnete mein Büro in Bagdad 132 Luftschläge mit 144 zivilen Toten und über 300 Verwundeten sowie zerstörtem zivilen Eigentum. Diese Berichte über Luftschläge wurden, wenn möglich, Beamten der USA und Großbritanniens bei verschiedenen Besuchen zu dienstlichen Besprechungen in New York übergeben. Daraufhin erklärten mir Vertreter dieser beiden Regierungen, dass ich mit der Erstellung solcher Dokumente mein Mandat verletze und nichts anderes tue, als der irakischen Propaganda einen UN-Stempel aufzudrücken. Gravierend ist diese Angelegenheit insofern, als der UN-Sicherheitsrat, dem eine statutengemäße Aufsichtspflicht obliegt, nicht in der Lage war, diesen schwer wiegenden Verstoß zu beenden, insbesondere seit Piloten der USA und Großbritanniens nach der Operation Wüstenfuchs im Dezember 1998 im irakischen Luftraum unter „erweiterten Einsatzregeln“ operiert haben. Diese gestatten ihnen, ihre Feuerkraft mit weniger Einschränkungen einzusetzen und folglich mit noch mehr Schaden für ziviles Leben und Eigentum.

Sollte ein US-Krieg gegen den Irak stattfinden, insbesondere der Hightech-Krieg, der gegenwärtig in Washington erwogen wird, gäbe es viele Tote und Zerstörungen unter der Zivilbevölkerung. Dies zu verhindern, ist eine große Herausforderung für die europäischen Demokratien.

Schlussfolgerungen:

Die politische Schlacht wird weiter auf dem Rücken des irakischen Volkes ausgetragen. Eine abzulehnende Behandlung von Menschen im Irak ist kein Rechtfertigungsgrund für eine vom Sicherheit über das irakische Volk verhängte Vernichtungsstrafe in Form von Wirtschaftssanktionen, Verhinderung humanitärer Lieferungen, regelmäßigen Luftangriffen und einer möglichen militärischen Konfrontation. Regierungen, denen die vielen Berichte angesehener internationaler Organisationen über die gegenwärtigen Lebensverhältnisse zur Verfügung stehen, können nicht länger stumm bleiben, zumal heute die Hauptschuldigen für das Leiden des irakischen Volkes die Regierungen der USA und Großbritanniens sind. Dies heißt nicht, die Bedeutung der menschenrechtlichen Lage im Innern zu leugnen. Es muss dem UN-Berichterstatter für Menschenrechte möglich gemacht werden, seinen diesbezüglichen Dialog mit den irakischen Behörden fortzusetzen.

Frage 4: Wie lauten die Forderungen, die entsprechend dem internationalen öffentlichen Rechtsbewusstsein gegen einen Irak-Krieg und für die Aufhebung der Sanktionen erhoben werden sollten?

– Anhörung im Europäischen Parlament (Februar 2001)

Die Irak-Anhörung im Europäischen Parlament am 26.02.2001 den Zweck verfehlt, zu einer glaubwürdigen Irak-Politik der EU beizutragen. Mangels einer objektiven Position zum Irak war die EU von der internationalen Irak-Debatte als Teilnehmer weitgehend ausgeschlossen. Dies ist eine für Europa peinliche Situation. Dänemark, das derzeit die EU-Präsidentschaft innehat, sollte es als eine Herausforderung ansehen, dies zu korrigieren.

– Beweise für eine irakische Bedrohung

Weder der Bericht des britischen International Institute for Strategic Studies (IISS) vom 9. September 2002 noch das von der US-Regierung mit Datum vom 12. September 2002 verteilte Dokument liefern irgendwelche Beweise für die Unmittelbarkeit einer internationalen Bedrohung durch die irakische Regierung, welche eine Berufung auf Artikel 39, 42 oder 51 der UN-Charta rechtfertigen würden. Ein einseitiger Militärschlag der USA gegen den Irak wäre auf jeden Fall ein schwer wiegender Verstoß gegen das internationale Recht. Dänemark sollte diesen Sachverhalt berücksichtigen und andere EU-Mitgliedstaaten sowie EU-Beitrittsländer auffordern, entsprechend zu handeln.

– Ein unilateraler Angriff und die EU-Länder

Im Falle eines unilateralen Angriffs der USA auf den Irak mag die Erlaubnis zur Nutzung von Flugplätzen, Häfen und anderen Einrichtungen durch die US-Streitkräfte zwar mit NATO-Statuten vereinbar sein mag, würde jedoch einen offen internationalen Rechtsbruch, beispielsweise im Hinblick auf Artikel 2 der UN-Charta darstellen. Dänemark sollte sich angelegen sein lassen, dies den EU-Mitgliedsländern in Erinnerung zu bringen.

– Wiederaufnahme der Waffeninspektionen

Dänemark sollte seine volle Unterstützung für den vom UN-Sicherheitsrat geleiteten Prozess der Waffeninspektionen zum Ausdruck bringen. Die irakische Regierung sollte in keinerlei Weise daran gehindert werden darf, ihre Bereitschaft zu bedingungsloser Zusammenarbeit mit UNMOVIC unter Beweis zu stellen, wie vom irakischen Außenminister Naji Sabri in seiner jüngsten Rede vor der UN-Generalversammlung in Aussicht gestellt. Dänemark sollte den UN-Generalsekretär davon in Kenntnis setzen, dass es die Wahrung der Integrität des Teams der UN-Inspektoren als eine übergeordnete Verantwortlichkeit des UNMOVIC-Vorsitzenden ansieht. Ein Missbrauch von UNMOVIC für geheimdienstliche Operationen, wie im Falle von UNSCOM, birgt die ernste Gefahr einer Konfrontation zwischen dem Irak und den USA. Sie würde zweifellos von den US-Behörden als unmittelbarer Vorwand benutzt werden, um mit einem militärischen Angriff zu reagieren. Die EU-Mitgliedsländer haben eine große Verantwortung, diese Besorgnisse allen am Konflikt beteiligten gegenüber zum Ausdruck zu bringen und die von der US-Regierung als Entwurf vorgeschlagene provozierende Resolution zurückzuweisen. Dänemark sollte erwägen eine ähnliche Haltung einzunehmen wie die russische Regierung, was die Rückkehr der UN-Waffeninspektoren auf der Basis der bestehenden Resolutionen ermöglichen würde. Dies war übrigens noch bis vor kurzem auch die Forderung der US-Regierung.

– Wirtschaftssanktionen

Die umfassenden Wirtschaftssanktionen gegen das irakische Volk gehen ins 13te Jahr. Die Lebensbedingungen, die bereits 1991 nach dem Golf-Krieg als „apokalyptisch“ bezeichnet wurden, haben sich seitdem sowohl psychisch wie physisch bedeutend verschlechtert. Das von angesehenen internationalen Organisationen gesammelte Beweismaterial über Kindersterblichkeit, Unterernährung, erneut auftretende Krankheiten, Verarmung, Ausbildungsnotstand und psychische Störungen häuft sich weiter an. (Siehe insbesondere die jüngsten Berichte von UNICEF, CARITAS, Save The Children/UK).

Was die internationale Gemeinschaft seit Mai 2002 erlebte, als die UN-Sicherheitsratsresolution 1409 so genannte “schlaue Sanktionen” einführte, ist, wie von einzelnen Mitgliedern des gegenwärtigen Sicherheitsrats vorhergesagt, alles andere als eine Verbesserung. Zudem werden weiterhin humanitäre Lieferungen im Wert von über 5 Milliarden US-Dollar angehalten, d.h. von den Behörden der USA und Großbritanniens blockiert. Die von den Regierungen der USA und Großbritanniens ausgelöste Konfrontation in der Frage des Ölpreises, um die Angelegenheit der „illegalen“ Aufschläge zu beenden, hat zu einem größeren Ausfall an Mitteln für die laufende Phase XII des Öl-für-Lebensmittel-Programms geführt und gefährdet gravierend das ohnehin schon fragile humanitäre Ausnahmeprogramm. Die setzt die Aufhebung der Sanktionen weiterhin und mit aller Dringlichkeit in dem Augenblick auf die Tagesordnung, wo das UN-Waffeninspektorenprogramm mit voller Kooperation der irakischen Regierung in Gang gekommen ist. Dänemark sollte eine solche Verfahrensweise im Interesse der Beendigung des Leidens eines Volkes, das nichts Verwerfliches getan hat, nachdrücklich zu unterstützen.